Hallo, liebe Leser,
ich bin Sascha, männlich und ich weiß nicht, ob es was bringt, hier zu schreiben, ob so ein Forum etwas bringt und ob das das richtige Forum ist. Bei aller Gemeinsamkeit der Trauer denkt ja jeder verständlicherweise in erster Linie an den eigenen Trauerfall. Vielleicht hilft es aber auch einfach, etwas aufzuschreiben. Vielleicht kann ich hier auch von anderen Erfahrungen profitieren und erfahren, was mich möglicherweise noch erwarten könnte.
Also mein Freund und Lebensgefährte ist im April an Krebs gestorben. Fast 25 Jahre waren wir zusammen. Im Sommer des vorigen Jahres bemerkte er plötzlich Schluckbeschwerden. Im Gegensatz zu mir und vielen anderen war er in solchen Dingen sehr aufmerksam, kümmerte sich gleich um entsprechende medizinische Untersuchungen. Naja, in der Speiseröhre wurde ein Tumor festgestellt. Mein Freund erreichte relativ schnelle Behandlungen, angefangen mit einer Chemotherapie, dann die Operation der Speiseröhre, die Entfernung des Tumors verlief erfolgreich, Fortsetzung der Chemo. Die Zeit war anstrengend, es gab auch Probleme, z.B. dass der Schlauchmagen an der Naht zuwuchs und dort immer mal wieder operativ geweitet werden musste. Aber eigentlich sah es doch gut aus.
Im Februar dann die Nachricht, dass sich doch schon etwas verteilt hatte. Das bedeutete, eine vollständige Heilung konnte es nicht mehr geben. Wenigstens stand die warme Jahreszeit bevor um noch gemeinsam die Zeit zu verbringen. Und die neue Chemo könnte doch zusätzliche Zeit bringen. Es folgten anstrengende Wochen für meinen Freund, Gewichtsverlust, Geschmacklosigkeit, Schwäche, künstliche Ernährung, medizinische Eingriffe (wieder am Schlauchmagen, am Herzen, Augen, Blase). Aber auch die (naive?) Hoffnung, die Chemo bringt Zeit, wenn sie vorbei ist, ist eine Weile Stabilität gewonnen und Zeit miteinander.
Doch eigentlich mehrten sich die Zeichen, dass es nicht gut enden würde. Untersuchungen, ärztliche Andeutungen, Befinden. Vielleicht war das zu unkonkret, vielleicht will man es nicht wahrhaben, malt sich Hoffnungen aus. Ich war fast jeden Tag nach der Arbeit bei ihm im Krankenhaus, hab ihm vom Alltag erzählt. Einen Nachmittag kam dann der Anruf, er hat das Bewusstsein verloren. Am Krankenbett habe ich ihm dann einige Male weinend für alles, was er für mich in den Jahren getan hat, gedankt. Ich weiß nicht, ob er mich dabei mal wahrgenommen hat. Einmal hatte ich den Eindruck, dass er mich aus kaum geöffneten Augen ansah und während ich weinte, ihm auch eine Träne aus den Augen lief. Keine Ahnung, ob das ein Wahrnehmen war. Selbst in diesen Stunden dachte ich mir noch so naiv, vielleicht wacht er ja auch nächste Woche wieder auf. Einen Tag später aber, als ich von zu Hause ein paar Sachen holte, um weiter neben ihm im Krankenzimmer schlafen zu können, starb er.
Jeden Tag weinen, wofür ich mir auch immer soviel Zeit genommen habe, wie es eben gedauert hat. Ich habe die Musik laufen lassen, die er häufig gehört hat. Und ich habe gemerkt, die Trauer hat verschiedene Facetten. Zum Beispiel das Gefühl der Ungerechtigkeit. Er war immer fleißig, immer hilfsbereit, stand auch kurz vor der Rente, hatte sich einiges dafür vorgenommen. Außerdem hat immer auf sich geachtet, warum musste ihm so etwas passieren? Er selbst hatte während der Krankheit immer wieder gefragt, warum ihm das passieren musste, was habe er vielleicht falsch gemacht. Darauf gibt es wohl keine Antwort, aber das Gefühl der Ungerechtigkeit war und ist ein großer Teil der Trauer.
Ein anderer Teil ist die Unsicherheit und Angst, plötzlich alles selbst organisieren zu müssen. Der Mensch, mit dem ich mich immer austauschen und absprechen konnte, der soviel für das gemeinsame Leben organisiert hatte, war plötzlich nicht mehr da. Ich hatte keine Ahnung, wie man eine Bestattung organisiert, musste nach und nach auf Kondolenzen reagieren, womit ich mich vorher nie befasst hatte. Die Briefe spendeten aber viel Trost.
Und dann war da die Unsicherheit, ob wir verpasst haben, uns noch Dinge zu sagen, als wir noch konnten. In den letzten Tagen als er noch wach war, habe ich ihm ja wie gesagt oft alltägliche Dinge erzählt. Ich habe in diesen Tagen nie erwartet, dass es so plötzlich vorbei sein könnte. Und ich frage mich, wenn ich es gewusst hätte, hätte ich ganz anders mit ihm geredet?
Nach einigen Wochen Trauer bin ich auch wieder arbeiten gegangen. Überall habe ich Verständnis und Hilfsangebote, aber auch Ablenkung bekommen. Sowas macht viel aus. Ich konnte irgendwann auch wieder ab und zu fröhlich sein. Ich hatte irgendwann das Gefühl, die Trauer lässt nun langsam nach. Ganz tief in mir war und ist immer das leise Gefühl des tiefen Verlustes. In der Regel nicht so, dass ich das Gefühl habe, dass es mich kaputt macht. Aber immer mit der traurigen Gewissheit, da ist eine Sache, die nie wieder gut wird, ein Schmerz, der nicht heilbar ist und immer leise da sein wird. Ich kann diesen Schmerz im Alltag, bei der Arbeit, auch bei Spaß mit Freunden eine Weile zudecken, aber er wird nie ganz weggehen. Und das soll er auch nicht. Weil es eben einfach traurig ist, was passiert ist. Es kommt noch etwas anderes dazu. Wenn, wie ich glaube, nach dem Tod nichts mehr ist, könnte ich ja meinen, wenn mein Freund vorher gelitten und gehadert hat, ist es jetzt nicht mehr schlimm, denn er ist nicht mehr, bemerkt es nicht mehr. Doch da ist dieses Gefühl, wie hat er sich vielleicht zu seinen letzten Tagen und Stunden gefühlt? Was war ihm bewusst? Er wollte ja nicht sterben. Das muss doch für einen Menschen ein schlimmes Gefühl sein.
Nach der relativ späten Bestattung fühlte ich mich besser, sie wirkte irgendwie ein bisschen wie ein bereinigender Abschluss. Die Asche meines Freundes liegt unter einem jungen Baum und ich freue ich, ihn in den kommenden Jahren wachsen zu sehen. Diese Zuversicht gibt mir Trost und irgendwie einen Sinn in der ganzen schrecklichen Tragik, gibt mir sogar einige freudige Gedanken der Erinnerung und der Zuversicht. Irgendwie nun eine stille aber zuversichtlichere Trauer als vorher.
In den vergangenen Tagen und Wochen kam aber diese traurige Trauer, die mit Fragen, Klagen und Weinen einhergeht, wieder zurück. Ich stelle mir teilweise wieder die Fragen, die ich in der Zeit nach seinem Tod hatte. Naja, das hat mich letztendlich dazu gebracht, das alles mal hier aufzuschreiben. Ich weiß nicht, wie es weitergeht und was mich da möglicherweise noch erwartet.
Herzliche Grüße an alle, erinnert euch an eure Leute, aber versucht, euer eigenes Leben zu leben! Es kann schneller vorbei sein, als man denkt.
Sascha