Lieber Uli,
deine Schwiegermutter hatte recht, wenn sie sagte: "Wir hatten keine Zeit für Depressionen". Meine Eltern und Großeltern hatten die Zeit auch nicht. Meine Großmutter mütterlicherseits hat als alleinerziehende Mutter sieben Kinder großgezogen, weil ihr Mann gestorben ist, im Krieg! Mein Vater hat den Krieg als Kind erlebt, er hat mir erzählt, daß er bei einem Luftangriff der Alliierten beschossen wurde - als Kind!!! Das hat ihn Zeit seines Lebens traumatisiert. Ich denke immer daran, wenn ich, nachdem ich nach über 30 Jahren Abwesenheit zurückgekommen bin in unsere Heimatstadt, meinen Wagen in der Straße parke, in der das passiert ist, um in die Innenstadt zu gehen. Als ihm das widerfahren ist, hatte er sicherlich keine Zeit für Depressionen. Meine Großmutter hatte die auch nicht.
Es gibt wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, daß Depressionen viel häufiger in "Friedenszeiten" auftreten als in Kriegszeiten.
Ich habe das schon mal an anderer Stelle geschrieben, der Zusammenbruch kommt erst, wenn er kommen darf. Vorher hat der Mensch einen Selbsterhaltungstrieb. Meine Großmutter mit ihren sieben Kindern, mein Vater unter dem Beschuß der Alliierten, sie hatten einen Überlebenstrieb.
Die Depression befällt eher Menschen, die unter einer Belastung leiden, in der sie keinen Sinn erkennen können, ohne daß sie eine Perspektive haben, sich von der sinnfreien Belastung in absehbarer Zeit zu befreien, währenddessen sie aber nicht notwendigerweise unter einer akuten Bedrohung von Leib und Leben stehen. Die Depression entwickelt sich eher längerfristig aufgrund von dauerhaft ungelösten Konflikten.
Eine Psychotherapie hat lediglich den Sinn, mit dem Betroffenen zusammen Lösungswege zu erarbeiten, wie die Ursache des Problems beseitigt werden kann. Die Lösung muß der Betroffene dann selbst herbeiführen.