Es ist schon so lange her,

  • dass ich hier hereingestolpert bin, nicht wusste was ich hier überhaupt wollte.
    Weil ich eigentlich überhaupt nichts mehr wusste - außer: Dass mein allerliebster Mensch nicht mehr bei mir war.


    So unglaublich lang ist es her, dass ich nach dem ersten Jahr merkte, dass die Verzweiflung einer lähmenden Ratlosigkeit und einem Gefängnis eines gefühlten Stillstands und vollkommener Richtungslosigkeit gewichen war.


    Und lang ist es auch her, dass sich im Laufe der Zeit fast so etwas wie eine Gewöhnung einstellte an die mal häufigeren, mal selteneren und mal überfallartigen oder auch schleichenden Abstürze in Trauer und Wehmut und in Sehnsucht nach dem, was einmal war, heimsuchten.


    Ja, und auch die Überraschung, dass sich irgendwann die Trauer ohne ein Wort des Abschieds aus dem Staub gemacht hatte, liegt schon einige Zeit zurück. Wann genau das war, weiß ich nicht, denn zuerst habe ich diese ungewohnte Ruhe ja nur als den Beginn einer abermaligen Pause zwischen den 'Anfällen' betrachtet.


    Es hat einige Zeit gedauert bis mir klar wurde, dass sich wirklich etwas verändert hatte. Das Durchstehen und das bewusste Erleben der vielen Tage, Wochen und Monate hat mich in meinem 'neuen' Leben ankommen lassen, hat mich es annehmen lassen.


    Dabei ist es gar nicht so sensationell neuartig, sondern banal und alltäglich neu. Na gut, ich bin jetzt Rentner - na und? - das wäre ich jetzt auch wenn Anna noch hier wäre. Und mit unseren Kindern und Enkeln auf einem Haufen gelebt habe ich auch schon 'vorher'. Meine freiberufliche Arbeit mache ich immer noch, aber ohne dabei in Stress zu geraten. Es gibt also gar kein wirklich neues Leben, erst recht keine neue Partnerschaft. Ich denke auch nicht, dass ich eine suchen werde, weil ich weiss, dass es Dinge im Leben gibt die man nicht suchen, sondern allenfalls finden kann. Oder von denen man gefunden werden kann - keine Ahnung was von beidem es wirklich ist.


    Aber ich schweife ab. Denn es geht ja um die lange Zeit.


    Eine Zeit, in der ich in der Tat einiges gefunden habe.
    Zu allererst einige Menschen, die ich hier getroffen habe, die mir geholfen haben durch ihr pures Da-sein. Gefunden habe ich aber auch vieles in mir selbst, das ich vorher nicht kannte. Eigenschaften oder Fähigkeiten, die ich jahrzehntelang nicht brauchte, weil meine zweiten hundert Prozent (gefällt mir besser als die zweite und viel besser als die sog. bessere Hälfte ;) ) den entsprechenden Part ausgefüllt hat.


    In der letzten Zeit - und auch das sind inzwischen schon etliche Monate - habe ich festgestellt, dass dies hier für mich nicht mehr der richtige Platz zu sein scheint. Es fehlt nicht nur der Antrieb hier zu lesen, hier Tag für Tag unterwegs zu sein, geschweige denn etwas zu schreiben; es fehlt auch die Überzeugung, dass ich hier noch irgendeinen sinnvollen Beitrag zustande bringen kann.


    Es geht nicht darum, dass mir der Bezug verloren gegangen wäre, denn ich weiss nur zu gut, wie es einem gehen kann, wenn man den liebsten Menschen verloren hat. Aber ich weiss auch um die Gewissheit, die ich immer gespürt habe, dass mir niemand wirklich helfen kann. Außer ich mir selbst. Wobei helfen eigentlich auch nicht das richtige Wort ist, weil es genau genommen überhaupt keine Hilfe im Sinne eines aktiven Tuns gibt. Man muss es selbst machen. Selbst weitermachen, selbst schreien, toben und verzweifeln, selbst hinfallen, selbst es aushalten, selbst wieder aufstehen.
    Es gibt allerdings eine passive Hilfe, das mitfühlende bei und mit jemandem Sein, das ich hier gefunden habe. Das macht das Schreien, Toben, vor allem das wieder Aufstehen vielleicht etwas leichter. Voraussetzung ist aber für mich, zu wissen, dass der (oder die) Mitfühlende das Ähnliche empfindet, wie das was ich gerade durchlebe.
    Und genau das ist der Haken: Ich fühle mich inzwischen anders. Ich bin woanders.
    Den elder statesman mag, kann und will ich nicht spielen, das käme mir einfach nur überheblich und auch vollkommen sinnlos vor.


    Aber ohne ein Wort, still und leise verschwinden will ich auch nicht. Das käme mir geradezu schäbig vor.


    Und deshalb möchte ich mich bei euch von Herzen bedanken und euch alles Glück und alle Liebe wünschen, die es auf diesem wundersamen Fleckchen des Universums gibt.
    Und ich möchte euch, wenn das denn geht, Mut machen. Obwohl ich überhaupt kein Patentrezept habe. Nur meinen naiven Glauben an die Zeit, an meine Sturheit und meinen Willen nicht klein beizugeben.
    Findet (nicht suchen! s.o. :) ) euer eigenes Rezept oder stolpert drüber und lasst euch von der Zeit überraschen.


    Alles Liebe <3 :knuddeln:
    Rolf

    ..........

    And if you don't know where you're going

    Any road will take you there

    Einmal editiert, zuletzt von stiller ()

  • Lieber Rolf,
    das hast du, wie immer, sehr schön geschrieben.
    Ich schaue noch immer mal hier rein schreibe aber kaum noch. Ich war froh, damals dieses Forum gefunden zu haben. Es/ihr habt mich durch die schwärzeste Zeit meines Lebens begleitet. Inzwischen ist es nicht mehr ganz so schwarz, aber auch nicht mehr so bunt und schön wie davor. Wird es wohl auch nie mehr sein. Aber schauen wir mal, was das Leben noch bringt. Es ist halt etwas einsam geworden und die Sehnsucht bleibt. Ich habe meine Kinder, meine Enkel ( ein Baby kam letztes Jahr dazu), aber da ist diese Lücke. Die Abende allein zu Hause, das sich nicht austauschen können....
    Ich wünsche dir für dein weiteres Leben alles Gute. Es war schön, dich in diesem Forum kennenlernen zu dürfen. Deine Beiträge haben sehr oft das gesagt, was ich fühlte, so aber nie hätte sagen können.


    Alles Liebe für dich
    Chris

    Alles verändert sich mit dem, der neben einem ist oder neben einem fehlt.


    "Musste dich gehen lassen und konnte nichts tun.
    Still und ohne Schmerz hoffe ich, kannst du nun ruhn."

  • Lieber Rolf,


    das hast du wirklich sehr schön und einfühlsam geschrieben (lese deine Beiträge so gern).


    Es klingt nach und es ist wohl ein Abschied. Schade eigentlich, aber niemand sollte für immer in einem Trauerforum bleiben.


    Da ich das große Glück habe, dich auch persönlich zu kennen, kann ich gut reden und schreiben. ;)


    Jedenfalls bist du eine sehr große Bereicherung für dieses Forum.



    Alles Liebe Frieda


    ......................................................


    "Wir können der Tatsache nicht ausweichen,
    dass jede einzelne Handlung, die wir tun,
    ihre Auswirkung auf das Ganze hat."


    Albert Einstein

  • Lieber Rolf,
    Du hast es wieder mal geschafft das Gefühlschaos das uns alle irgendwie täglich begleitet in klare und gefühlvolle Worte zu kleiden.......ja die Zeit hilft nur leider stehen wir uns oft selbst im Weg ( ich mir zumindest )......das zu erkennen ist glaube ich einer der Schlüssel um ein " neues " lebenswertes Leben zu finden und anzunehmen.
    Ich freue mich das Dir das gelungen ist und wünsche Dir daher alles erdenklich Gute.


    Lass es Dir gut gehen und genieße Dein " Rentnerleben " in vollen Zügen......ganz ehrlich ich bin auch ein wenig stolz darauf das dieses Forum Dir, ob nun passiv oder aktiv ,dabei geholfen hat.....denn es zeigt mir, das es Sinn macht dieses Forum.


    Liebe Grüße
    Mäusi


    P.S. Mal schauen evtl. hast Du ja Lust am Forentreffen in Hannover im April teilzunehmen und sei es auch nur um alte Weggefährten zu treffen. Infos hierzu findest Du ja dann hier.

  • Lieber Rolf,


    nach Monaten bin ich heute einmal wieder im Forum und lese gerade deine Zeilen.


    Es freut mich für dich, dass du da bist, wo du bist und ich wünsche dir alles erdenklich Gute! Deine Kommentare hier gehören für mich mit zu den wichtigsten und hilfreichsten, die ich hier bisher erfahren habe und dafür danke ich dir sehr.


    Ich war lange nicht hier, weil ich zwar oft hilfreiche Berichte und Kommentare gelesen hatte und auch oft sehr froh war, hier sein zu können, aber irgendwann das Gefühl hatte, ich fühle mich irgendwie fremd, ich muss es mit mir selbst ausmachen.


    Das ist mir aber leider immer noch nicht wirklich gelungen, auch wenn schon drei Jahre vergangen sind. Gerade jetzt, wo es sich bald wieder jährt, kommt mir alles vor, als sei es erst gestern geschehen, auch wenn sich seitdem schon viel verändert hat. Ich denk mal, ich brauche noch mehr Zeit.


    Alles Gute für dich und viele Grüße
    Silberherz

  • hallo lieber rolf,


    so ganz aus dem staub gemacht hat sich die trauer bei mir noch nicht. aber es gibt schon so viele tage und situationen wo ich ausnahmslos glücklich bin und nicht mehr an meinen großen verlust denke. und damit befinde ich mich auf einem gutem weg, von dem ich zu anfang nicht mal ansatzweise dachte, dass er möglich wäre. aber ich habe mir immer gewünscht, dass es möglich sein würde. es wird immer wieder tage geben, an denen wir zurück denken, uns manches zurück wünschen und nicht unbeschwert sein werden, aber es ist möglich, wieder glücklich zu sein und das leben zu genießen, das weiß ich jetzt. und es ist ein gutes gefühl.
    gerade spielen sie im radio mein lieblingsweihnachtslied "thank god it's christmas" von queen und ich muss nicht weinen.
    lieber rolf, was ich sagen will, ist, dass wir vor inzwischen 2 1/2 jahren hier im forum trotz aller trauer eine gute zeit hatten, vor allem in unserem trauer-café. für die kommende zeit wünsche ich dir das bestmögliche und ich hoffe, dass wir uns bei einem treffen vielleicht wieder einmal begegnen. du bist ein toller mensch.
    mit herzlichen grüßen von lonie

    Erinnerungen sind kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel unserer Trauer leuchten


    Die Erinnerung ist ein Fenster, durch das wir dich jederzeit sehen können

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